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Das geheime Deutschland

Am vergangenen Montag reiste ich nach Neuss zur Verleihung des Goldenen Bloggers 2024. Treffpunkt war ein Hotel in Düsseldorf, das tolle 25hrs La Tour, dann fuhren alle mit einem Bus auf die andere Rheinseite. Zu meiner großen Überraschung kannte ich keinen Menschen. Bei Gelegenheiten, die im weitesten Sinne in der Medien- oder Verlags- oder Kulturbranche spielen, gibt es sonst immer jemanden, den ich zu lange nicht gesehen habe und fröhlich begrüßen kann. Bis zu seinem frühen Tod spielte der SWR-Reporter, Netzwerker und Bonvivant Thomas Leif diese Rolle, der war immer für Gossip und einen spannenden Austausch zu haben. Im Bus nach Neuss dachte ich also angestrengt darüber nach, wer all diese Menschen sein könnten. Der mit mir nominierte Politiker Robert Habeck war schon mal nicht dabei, den hätte ich erkannt. Unbekannte Menschen baten mir ebenso unbekannte andere Menschen um ein Selfie. Und dann wieder vice versa.

Allmählich lernte ich, das genau das der Witz an der Sache ist. Es ist eine Leistungsschau der Kreativität im digitalen Bereich, eine Feier der Nische. Später lernte ich Annemarie Paulsen (Opens in a new window) vom gleichnamigen Biohof kennen, die Biobäuerin Judith Rakers (Opens in a new window) war da, die früher auch was mit Medien gemacht hat und die Musikerin Doro Pesch (Opens in a new window). Menschen machten Selfies mit Bodo Wartke (Opens in a new window) und ich musste recherchieren, wer das ist. Mein Sohn kannte ihn natürlich und wunderte sich über meine Ignoranz: Mehr Tik-Tok wagen! war sein Rat. Menschen wurden prämiert, die sich gegen Fakenews im Netz (Opens in a new window)engagieren, die die Geschichte der berühmten Cocktails (Opens in a new window) erzählen oder gegen Rassismus in Sprache und Denken vorgehen - wie die Gewinnerin des Goldenen Bloggers Tupoka Ogette (Opens in a new window).

Ich habe aber auch nicht alles verstanden: Einmal ging es um einen Disney Film, den es vielleicht über den Song über die Taube eines anderen Bloggers geben wird oder auch nicht.

Auf den Einspielfilmen sah man Dachschrägen, Balkone und Home Offices – diese Produktionen sind das Werk von Amateuren im Sinne von LiebhaberInnen, kein Medienkonzern weit und breit. Der Preis selbst wird mit dem grenzenlosen Engagement von Thomas Knüwer und Franziska Bluhm betrieben und beseelt, die dabei nicht vergessen, auf der Bühne ihren Spaß zu haben. Make some Neuss war das Motto des Abends. Die Sponsoren waren in style repräsentiert, die Post bzw. DHL beispielsweise durch Marcos Antonio Rodriguez González (Opens in a new window). Als ich am Ende des Abends selbst auf der Bühne stand - ich wurde, wie meine Frau diplomatisch-tröstend formulierte, silberner Blogger - blickte ich in den fröhlichen, bunten Saal und fragte mich, warum all diese Kreativität, dieses Engagement und der schiere Übermut nie in traditionellen Medien abgebildet werden. In einer Zeitung hätte man schon Mühe, das zuständige Ressort dafür zu benennen. Es ist politisch, aber keine Politik. Es ist laut und spannend und einfallsreich, aber eigentlich kein Feuilleton. Medien? Netzwelt? Man muss sich etwas überlegen: Die Medienwelt ist in einem tiefgreifenden Wandel und das sind die Boten ihrer neuen Gründerzeit.

Stattdessen sind auf allen Nachrichtenseiten der Welt jeden Tag die Gesichter von Trump und Putin zu sehen – böse Männer der Vergangenheit. Oder ihre Freunde von der AfD und RN. Aber die sind immer nur die Minderheit. Die Mehrheit freut sich an Sachen wie denen, die in Neuss vorgestellt wurden oder bastelt gleich selbst etwas. Gleich sieht Deutschland anders aus.

Vor fünfzig Jahren trat Willy Brandt vom Amt des Bundeskanzlers zurück. Er war erst zwei Jahre zuvor wiedergewählt worden. Bis heute werden die Ereignisse damals immer wieder neu ausgeleuchtet und gedeutet. Sehr zu empfehlen ist dazu die neue Dokuserie der ARD zum damaligen Spionagefall Guillaume, in der Fachfrauen die Dinge von damals deuten und neue Erkenntnisse präsentieren.

https://www.ardmediathek.de/serie/willy-verrat-am-kanzler/staffel-1/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvd2lsbHktdmVycmF0LWFtLWthbnpsZXI/1 (Opens in a new window)

Auch wenn in den Nachrichten jeden Tag von dieser Region die Rede ist – richtig viel wissen wir nicht darüber. Oder zu viel? Die Ecke zwischen östlichem Mittelmeer und Hinterland ist seit Jahrhunderten die Leinwand von Projektionen. Was man dort zu finden hoffte, hatte aber wenig mit dem zu tun, was dort angeboten wird. Eine Reise nach Jerusalem und Umgebung war oft genug ein neurotisches Unternehmen, das mehr über die Seele der Reisenden aussagte als über die besuchte Stadt. Frömmigkeit, Wissensdurst und Erlösungshoffnung beeinflussten die Wahrnehmung auf der Reise und die Erfahrung des real existierenden Monotheismus erwies sich als Realitätsschock. Bernd Brunner hat die Kulturgeschichte dieser Reisen mit viel Sachkenntnis und Humor geschrieben und bietet so einen frischen Zugang zum Thema Nahost.

https://www.galiani.de/buch/bernd-brunner-unterwegs-ins-morgenland-9783869712529 (Opens in a new window)

Ich muss immer lachen, wenn sich die NYT gar nicht mehr beruhigen kann vor Begeisterung für Rezepte oder Speisen, die in Frankreich einfach Alltag sin und schon von Teenagern blind zubereitet werden können. So süß! Aber gute Laune macht die Lektüre dennoch und etwas Vorfreude auf sonnigere Tage kommt auch schon auf.

https://www.nytimes.com/2024/05/01/dining/easy-picnic-recipes.html (Opens in a new window)

Von Zucker und Jagdwurst gibt es auch eine fröhlich fleischlose Variante für Picknick Freuden:

https://www.zuckerjagdwurst.com/de/rezepte/7-rezepte-fuer-ein-veganes-picknick (Opens in a new window)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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