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03.24

So, das ist er wieder.

Nein, nicht Colani, den hatten wir schon (dazu gab es interessante Anmerkungen – siehe unten).

Es ist Monatsanfang. Also Zeit für den neuen prompd-Newsreader. Und das hat er im März zu bieten:

  • Wie ein Start-up aus biobasierten Rohstoffen ein kompostierbares Verpackungsmaterial entwickelt

  • Die fünf wichtigsten Robotik-Trends

  • Warum Innovation von zu viel Empathie gebremst werden kann

  • Was Begriffe der Circular Economy wirklich bedeuten

Aber zuerst nochmals kurz zurück zu Colani.

Im letzten Newsreader ging es ja um Colani und die Retrospektive in Waiblingen. Die, so erklärt der geschätzte Oliver S. aus Stuttgart, sei aber gar nicht die erste Retrospektive gewesen.

„Seine erste Retrospektive hat Luigi Colani meines Wissens selbst kuratiert! Vom 1. Mai 2004 bis zum 30. September 2005 fand die große Ausstellung „Colani – Das Lebenswerk (Öffnet in neuem Fenster)“ im Karlsruher Kongresszentrum auf 4000 Quadratmetern statt. Er und seine Frau saßen auch selbst an der Kasse und hatten ihr Ausstellungsbüro im Nebenzimmer. Ich habe ihn damals mal dort auf ein Glas Wasser getroffen. Und in den späten 1990ern gab es eine Colani-Ausstellung im Leo Center in Leonberg. Ja, genau, im Einkaufszentrum.“

Luigi Colani war eben unkonventionell, in jeder Beziehung. Und durchaus populär. Ein von mir ebenso hoch geschätzter Designer dazu: „Die Colani Ausstellung in Waiblingen finde ich richtig gut, auch wenn ich als junger Designer kein Freund von ihm war. Vielleicht auch deshalb, weil ein Stück Neid in der Auseinandersetzung mit ihm im Spiel war, denn er hatte es als einziger Designer geschafft, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden.“

Inzwischen ist Design weitgehend zur Normalität im Entwicklungsprozess geworden, Autorendesign hat sich weitgehend erledigt, schwingt aber immer mal wieder durch. Siehe Colani.

Nun in die Jetztzeit und zu Entwicklungen mit Potenzial für bessere Ideen.

Viel Spaß und einen guten Start in den März! Und wenn prompd gefällt, empfehle es einfach weiter.

Armin

Freue ich mich über Rückmeldungen? Klar!

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1_ START-UP des Monats

Spelzen zu Verpackungen: Proservation

EPS, also Expandiertes Polystyrol, gilt als Verpackungsmaterial der Wahl – es ist leicht, thermisch dämmend, vibrationsschützend, preiswert, wird in riesigen Mengen produziert und lässt sich gut in individuelle Formen bringen. Aber: EPS ist nicht nachhaltig.

Daher arbeiten Start-ups an der Substitution des petrochemischen Materials durch biobasierte Werkstoffe. Dazu gehört zum Beispiel Mycrobez in Basel (siehe prompd 07.23 (Öffnet in neuem Fenster)) oder Proservation (Öffnet in neuem Fenster) in Stuttgart.

Spelzen statt EPS

Das 2022 gegründete Start-up Proservation entwickelt ein Material namens „Recou“, das aus einem selbst entwickelten, biobasierten Bindemittel sowie Spelzen besteht. Spelzen fallen massenweise bei der Getreideverarbeitung an, wenn in speziellen Mühlenbetrieben das Korn von seiner Hülle getrennt wird. Für die Spelzen gibt es bislang wenig sinnvolle Verwendungen. Ihr Brennwert ist gering, sie werden meist untergepflügt oder dienen als Einstreu in der Geflügelzucht.

Eigentlich zu schade, dachte sich wohl Lisa Scherer, eine der vier jungen Gründerinnen und Gründer von Proservation. Scherer studierte Industriedesign in Halle und anschließend Packaging Development an der Hochschule der Medien in Stuttgart. In ihrer Masterarbeit beschäftigte sie sich mit ökologischeren Alternativen zum EPS – und fokussierte sich auf Spelzen, um noch während der Masterarbeit ein europaweites Patent anzumelden.

Aus diesem „Schutzspelz“ genannten Ansatz entstand quasi in direkter Folge die Proservation GmbH, gegründet zunächst mit eigenen Mitteln. Zwei Förderprogramme (Exist und Junge Innovatoren) schlossen sich an, 2023 kam die BW-Bank sowie Investoren hinzu, aktuell läuft eine Crowd-Invest-Aktion auf Econeers (siehe unten).

Labor- und Pilotproduktion

Die Produktion von „Recou“ ist schnell dargestellt: Die Spelzen werden mit dem wässrigen, selbst entwickelten Bindemittel vermengt, angewärmt und dann in die jeweilige Negativform des Verpackungselements gefüllt. Nach dem Entformen trocknen die Teile und gehen dann zum Kunden. Die Spelzen werden dabei fest verbunden, aber nicht komprimiert, so dass dämmende Poren und Hohlräume verbleiben.

Das spezifische Gewicht von „Recou“ beträgt 120-150 kg/m3, es ist also schwerer als EPS (15-90kg/m3). Auch die Kosten liegen höher, derzeit um den Faktor 1,3 höher als EPS. Das aber wird auch in enormen Mengen großindustriell prodziert, während „Recou“ noch manuell gefertigt wird. Erste Kundenprojekte laufen bereits, noch 2024 soll die Fertigung in einer automatisierten Pilotanlage anlaufen. Die Entwicklung ist bereits in vollem Gange, daher auch das Crowd-Funding. Momenten werden im Labormaßstab wöchentlich rund 200 kg produziert, die Pilotanlage ist für 500 kg pro Tag ausgelegt.

https://youtu.be/bfH7nNE9f-E (Öffnet in neuem Fenster)

Kompostierbar und vielseitig

Im Stuttgarter Büro finden sich allerlei Testverpackungen, Eckverstärker zum Beispiel, Verpackungen für Wein, für Gläser oder Staubsauger. Kunden sind „Start-ups bis mittelständische Unternehmen, die nach neuen Verpackunsgwegen suchen“, sagt Lisa Scherer. „Für uns sind diese Entwicklungsprojekte wichtige Learnings“.

Nach dem Gebrauch lässt sich „Recou“ kompostieren, sogar in die Biotonne oder den heimischen Kompost geben. Alternativ kann auch ein Kreislauf installiert werden, denn das Bindemittel löst sich unter Feuchteeinfluss auf.

Lizenzierung statt Eigenproduktion

Weil es ökologisch sinnvoll ist, die Verpackungen dort zu produzieren, wo sie gebraucht werden, plant Proservation mittelfristig die Lizenzierung des Systems. Dafür spricht auch, dass Spelzen nahezu überall verfügbar sind und kurze Lieferwege haben. Die meist kleinen Entspelzungsmühlen können ihre Reste so sinnvoll verwerten und zusätzliche Umsätze generieren. Voraussetzung: Die stabile, automatisierte Produktion.

Dass Proservation auf gutem Weg ist, zeigen Auszeichungen, darunter der Deutsche Verpackungspreis 2022 oder der Innovationspreis Bioökonomie Baden-Württemberg.

Crowd-Funding bis Ende März

Primär Kleininvestoren will das laufende Crowd-Funding ansprechen. Die Aktion auf Econeers (Öffnet in neuem Fenster) läuft noch bis Ende März 2024, hat aber bereits nach nur 20 Tagen Laufzeit die ursprüngliche Zielsumme von 500.000 Euro erreicht – und wurde nun auf 650.000 Euro erhöht.

2_ FEED | News aus der Forschung und Entwicklung

Zu viel Empathie kann bremsen

Im ersten Moment hört sich das, was Forschende des Fachgebietes Entrepreneurship an der TU Darmstadt (Öffnet in neuem Fenster) ermittelt haben, abwegig an. Gilt bislang, dass sich gerade Start-ups von der großen Nähe zu Nutzerinnen und Nutzer profitieren, so scheint dies unter Umständen gegenteilige Effekte zu zeitigen und Neuentwicklungen eher zu hemmen.

Die Forschenden haben für ihre Studie mit dem etwas sperrigen Titel „Flip the tweet – the two-sided coin of entrepreneurial empathy and its ambiguous influence on new product development“ mehrere Millionen Posts auf X analysiert. Ein Machine-Learning-Algorithmus ermittelte die jeweiligen Empathielevels, basierend auf Begriffen, die laut einer anderen Studie auf überdurchschnittliche Empathie hinweisen. Gleichzeitig klassifizierte ein anderer Algorithmus die Tweets, ob es dabei um neue Produkte und Services ging.

Die empirische Studie (Öffnet in neuem Fenster) zeigt auf, dass das empathische Verständnis für Kunden einer „Zu-viel-des-Guten“-Logik zu folgen scheint und die Produktentwicklung eher hemmt. Die nachteiligen Effekte eines hohen Empathielevels zeigen sich besonders bei Gründer:innen mit einer ängstlichen Persönlichkeitsausprägung. „Dieser Effekt entsteht potenziell, da sehr ängstliche Gründer insbesondere für verzerrte Wahrnehmung anfällig sind und so zum Beispiel einzelne, aber unbedeutende Kundenmeinungen übermäßig wichtig einschätzen“, erklärt Professorin und Fachgebietsleiterin Carolin Bock. Diesen Effekt sollten sich Gründerinnen und Gründer unbedingt bewusst machen.

3_ NEXT – Robotik

Die fünf wichtigsten Robotik-Trends

Weltweit, so die International Federation of Robotics (IFR (Öffnet in neuem Fenster)) sind aktuell 3,9 Millionen Industrieroboter im Einsatz – ein neuer Höchststand. Wie in jedem Jahr hat die IFR die wichtigsten Trend sin Sachen Robotik und Automatisierung zusammengetragen. Hier sind sie.

Trend 1 – KI

Die generative KI eröffnet die Option, Roboter intuitiver zu programmieren. Das Ziel: Anwender programmieren mit natürlicher Sprache anstelle von Code. Vorausschauende KI wiederum beobachtet Leistungsdaten von Robotern, um den Zustand von Anlagen zu ermitteln und vorausschauende Wartungen einzuleiten. Damit lassen sich Maschinenausfallzeiten und verbundene Kosten einsparen. Und mit entsprechenden Algorithmen des maschinellen Lernens können Daten mehrerer gleichlaufender Roboter analysiert und die Prozesse entsprechend optimiert werden.

Trend 2 – Cobots

Rasante Fortschritte bei Sensoren, Bildverarbeitungstechnologien und intelligenten Greifern machen es möglich, dass Roboter in Echtzeit auf Veränderungen in ihrer Umgebung reagieren. Damit wird die direkte Zusammenarbeit mit Menschen noch sicherer. Damit wird es auch immer mehr Einsatzbereiche für kollaborative Anwendungen geben.

Ein Beispiel, so die IFR, sind neue und mehr Roboterschweißanwendungen, ausgelöst durch den Mangel an qualifizierten Fachkräften. Dies zeige, dass die Automatisierung nicht zu einem Arbeitskräftemangel führt, sondern zur Lösung des Personalmangels beitrage. Kollaborative Roboter werden Industrieroboter, die mit viel höheren Geschwindigkeiten arbeiten, ergänzen und nicht ersetzen.

Trend 3 – Mobil

Die Kombination aus kollaborativen Roboterarmen und mobilen Robotern (AMRs), eröffnet neue Anwendungen, die die Nachfrage nach Cobots erheblich steigern könnten. Mobile Manipulatoren, „MoMas“ genannt, automatisieren beispielsweise die Handhabung von Material. Sie kombinieren die Mobilität von Roboterplattformen mit der Geschicklichkeit von Manipulatorarmen. Dadurch sind sie in der Lage, sich in komplexen Umgebungen zu bewegen und mit Objekten umzugehen. Ausgestattet mit Sensoren und Kameras, führen diese Roboter auch Inspektionen und Wartungsarbeiten an Maschinen durch. Dabei können sie unmittelbar mit menschlichen Arbeitskräften zusammenarbeiten.

Trend 4 – Digitale Zwillinge

Digitale Zwillinge werden eingesetzt, um physische Systeme mittels virtueller Pendants zu optimieren. Als reines Computermodell lässt sich der Zwilling unter Stressbedingungen testen und verändern, ohne dass dabei realer Verschleiß oder Sicherheitsrisiken entstehen.

Trend 5 – Humanoide

Menschenähnliches Design mit zwei Armen und zwei Beinen ermöglicht Robotern, flexibel in Arbeitsumgebungen eingesetzt zu werden, die eigentlich für Menschen geschaffen wurden. China will bis 2025 Humanoide in Serie zu produzieren. Die Einführung von Humanoiden im Massenmarkt bleibt eine komplexe Herausforderung, ein Schlüsselfaktor sind dabei die Kosten.

4_ CHARGE

Begriffsklärung für die Circular Economy

Wie unterscheiden sich Wiederverwendung und Recycling? Wie ist der deutsche Begriff Mehrweg zu verwenden, wie grenzt er sich von Einweg ab? Für welche Bewertung sind Wiedereinsatzquoten sinnvoller als Recyclingquoten? Antworten auf diese Fragen samt kurzen Erläuterungen zu Begriffen der Kreislaufführung von Verpackungen liefert das „Mehrweg-Glossar/Glossary on Reuse“. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT (Öffnet in neuem Fenster) und das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML erstellten dies im Auftrag der Stiftung Initiative Mehrweg, um Klarheit in die oft nicht trennscharfen Begriffe rund um Wiederverwendung und die Circular Economy zu bringen.

Das rund 40 Seiten umfassende, zweisprachige Glossar (deutsch / englisch) hat das Ziel, Beschreibungen und Vergleiche im Bereich der wiederverwendbaren und rezyklierbaren Verpackungssysteme zu schärfen. Es steht als kostenloses pdf-Download (Öffnet in neuem Fenster) zur Verfügung.

Weiche Maßnahmen für eine andere Mobiltität

Das Handbuch „Digital Nudging for sustainable mobility“, herausgegeben von Salzburg Research (Öffnet in neuem Fenster), bietet konkrete Handlungsempfehlungen und Ideen für alle, die Menschen zur Nutzung nachhaltigerer Mobilitätsoptionen motivieren wollen. Im Fokus stehen „weiche Interventionen“, die digital umgesetzt werden können und ohne Einschränkungen oder Verbote auskommen.

Das Handbuch steht hier im pdf-Format zum Download (Öffnet in neuem Fenster) bereit.

5_ DIE WERKBANK

Und jetzt noch der Abspann, mancher würde vielleicht Werbeblock dazu sagen. Also hier nur ein paar Hinweise auf andere Themen, die ich jüngst auf der Werkbank hatte, in denen es um innovatives Design, um visionäre Start-ups und neue Technologien geht.

Für das Design Center Baden-Württemberg habe ich in der Reihe Erfolgsgeschichten Stephan Möck interviewt. Stephan Möck ist bei Pica Marker (Öffnet in neuem Fenster) zuständig für die Produktentwicklung und die Integration von Design. Pica produziert unterschiedlichste Markierungstools für Profis und wurde mehrfach schon beim Design Award Focus Open (Öffnet in neuem Fenster) ausgezeichnet.

www.design-center.de (Öffnet in neuem Fenster)

Über das, was so auf der Werkbank liegt, informiert auch mein Linkedin-Kanal (Öffnet in neuem Fenster). Oder meine Website (Öffnet in neuem Fenster).